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Der junge Luther und sein therapeutisches angstbefreiendes Konzept
Fast 5 Jahrhunderte alte Hilfen gegen anerzogene Schuldkomplexe

© Rudolf Fiala, 26.10.2008, revidiert 11.12.2009 .    check 16.06.2022


Luthers Reformation eine Hilfe gegen Schuldkomplexe?

Ja doch; das war der große Verdienst Martin Luthers, als er die Menschen entpäpstlicht hat und ein Gegengewichte schaffen musste, um jenen Menschen, die unter ihren "Sünden" litten und jetzt keine Methode zur Entlastung mehr hatten - und schon gar nicht mehr mittels Ablasszahlung - eine Befreiungsmethode anzubieten.

Eine Befreiungsmethode als wirksames "Werkzeug", oder gleich vorbeugend und somit a priori schuldbefreiend, ein theologisches Gedankengebäude der prinzipiellen Schuldfreiheit. Basierend auf den Evangelien und/oder der Heilsgeschichte.

Aus einer Calvin-Abhandlung: » Für die Menschen der Reformationszeit ist die Erkenntnis der bereits geschehenen Erlösung geradezu revolutionär: Ein unruhiges, gar schlechtes Gewissen gemacht zu bekommen und zu haben, sind sie durch den Katholizismus ihrer Zeit gewohnt; nun kann die damit erzeugte Angst genommen, kann neue, ungewohnte Freiheit gewonnen werden! In einer dunklen Zeit, in der die Scheiterhaufen loderten, Religionskriege wüteten und die Angst vor Gott und dem Teufel zum Alltag gehörte.«

Luthers 95 Thesen - ob jetzt am Kirchentor angeschlagen oder nicht - handeln überwiegend (These 5 bis 91!) vom Papst, seiner Geldvermehrung und dem Ablass(un)wesen. Bleiben 8 Thesen, die aber m.E. fundamentalistisch röm. katholisch sind und kaum unserem protestantischen Denken entsprechen.

Im Detail hier nachzulesen: http://www.evang.at/die-95-thesen.0.html
Allgemeines und Hintergrund dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/95_Thesen

Natürlich ist zu berücksichtigen, dass Martin Luther ein Mönch war, die röm. kath. bezw. "päpstliche" Kirchenorganisation zu verbessern suchte und zuerst keine neue Religion gründen wollte.
Damit waren einerseits in den 95 Thesen ja kaum echt theologische Thesen notwendig, andererseits sind darin freilich streng katholische Vorschriften bezüglich Papst, Priester und Gläubige zu finden, die eben unserem heutigen evangelischen Verständnis zutiefst zuwider laufen.

Dazu kommt außerdem, dass die damaligen Päpste und ihre Verwandten, sogar Kinder, und Günstlinge kaum dem religiösen Bild des "Felsen, auf dem ich meine Kirche bauen werde" entsprachen, sondern eher dem Zerrbild machtbesessener Potentaten, die eine Möglichkeit gefunden haben, die Menschen zu unterwerfen. Vordergründig ohnedies, aber auch unterschwellig mittels dauernder Androhungen von Hölle, Fegefeuer, Pein einerseits und andererseits der größenwahnsinnigen Erlösungszusage durch bezahlten Ablass.
Und das auf Basis einer Legende, wie Papst Leo X. angeblich bemerkte: "Alle Welt weiß doch, wie viel uns diese Fabel vom Christus eingebracht hat!"

Und dem hat Luther sich offiziell 1517 getraut in einer Art entgegenzutreten, die die Päpste einen großen Teil ihrer Einkommensmöglichkeiten beraubte. Das konnten sich diese und ihre Vasallen doch nicht gefallen lassen, nicht wahr?

Keine Ablasszahlung? Na, dann auf zum Schmoren etc.etc. in der Hölle oder im Fegefeuer....

Und jetzt kommt Luthers große Leistung auf Basis der Bibel: die Transformation der Heilsgeschichte in den Alltag der Menschen und die Beseitigung der Höllenfurcht und Ängste, auch ohne Ablass: Sein auf Paulus beruhendes Gedankengebäude!

Ausreichend - und besser als ich es könnte - hier beschrieben:

Luther: http://de.wikipedia.org/wiki/Von_der_Freiheit_eines_Christenmenschen

Daraus:  "Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan."

Und allgemein: http://de.wikipedia.org/wiki/Evangelische_Freiheit


Luther meint in seiner Rechtfertigungslehre mit Berufung auf Paulus, wie von einem Wissenschaftler definiert:

...., dass die Rechtfertigung allein durch Christus geschehen sei und dem Christen allein durch den empfangenden Glauben, nicht durch eigenes Tun zuteil werde (Röm 3,28). Der Glaube aber werde allein durch das Wort der Christusverkündigung bewirkt, das in der Bibel grundlegend und hinreichend enthalten sei und in der Predigt aktualisiert werde...  Auch Gal 2,16

Und über den geknechteten, also nicht eigenverantwortlichen Willen schreibt Luther wörtlich:

"Auf diese Weise ist der menschliche Wille mitten zwischen beide [in medio] gestellt, ganz wie ein Reittier, wenn Gott darauf sitzt, will er und geht, wohin Gott will, wie der Psalm sagt: ´Ich bin wie ein Zugtier geworden und ich bin immer mit dir` [Ps 73, 22f.]. Wenn der Satan darauf sitzt, will er und geht, wohin der Satan will. Und er hat nicht die Entscheidungsfreiheit [in eius arbitrio], zu einem der Reiter zu laufen oder ihn zu suchen, sondern die Reiter selbst streiten darum, ihn festzuhalten und zu besitzen"


Diese Beispiele mögen reichen und zeigen, dass Luther tatsächlich eine Entlastung für den sich unnötig schuldig fühlenden Gläubigen anbot, die fern jeder Ablasszahlung und damit verbundener oder anderer Freisprechungsrituale war.

Dass freilich die Päpste damit keine Freude hatten, hatten sie doch am 18. April 1506 den Grundstein für die neue Peterskirche und ihrem einige Jahrzehnte langen Bau gelegt, ist leicht verständlich.
Damit war es zwangsläufig, dass der Augustinermönch mit seinen "Verbesserungsvorschlägen" kein Heim mehr in der röm. kath. Kirche haben konnte. Und zwangsläufig zum Reformator und Leitfigur einer neuen Evangelischen Religion mutierte, obwohl das gar nicht seine Intention gewesen ist. Quasi ein röm. kath. Betriebsunfall.

Dass der späte Luther samt seinen schweren Erkrankungen, Alkoholkonsum und Äusserungen langsam zunehmend ab 1525/26 (dokumentierte "Tischgespräche" etc., Beispiel unten im Anhang**) kaum einem heutigen ethischen Ideal entspricht und damit auch ungewollt zu einer der Leitfiguren des Nationalsozialismus und der Judenverfolgung wurde ist eine der tragischen, grauslichen "Scherze" der Weltgeschichte.

Ergänzende Anmerkung 11.12.2009: Die bis heute hier lesbare Ergänzung ("Ich möchte aber dem Menschen und Genie Luther zu Gute halten, dass das viele Leid, das er ohnmächtig sehen musste, wie zB. die quasi Abschlachtung der Bauern in den seiner Reformation folgenden Religionskriegen ... [.] ...psychische Veränderungen ...") und Interpretation seiner Psyche kann ich nicht mehr aufrechterhalten.
Die Gründe sind in dieser Geschichtsabhandlung zu finden: 
Luther
Ende Anmerkung.

Vom bereits kranken, ja psychopathischen Luther:
„Es ist ein überaus gerechtes Gesetz, dass die Zauberinnen getötet werden, denn sie richten viel Schaden an, was bisweilen ignoriert wird, sie können nämlich Milch, Butter und alles aus einem Haus stehlen… Schaden fügen sie nämlich an Körpern und Seelen zu, sie verabreichen Tränke und Beschwörungen, um Hass hervorzurufen, Liebe, Unwetter, alle Verwüstungen im Haus, auf dem Acker, über eine Entfernung von einer Meile und mehr machen sie mit ihren Zauberpfeilen Hinkende, dass niemand heilen kann ….“

Warum die Lutheraner in diesem Zusammenhang nicht zur Trennung des anerkennenswerten jungen Luthers als IHREM Reformator und jenem verbitterten, persönlichkeitsveränderten Luther ab etwa 1526 schreiten, ist mir unverständlich. Andererseits, der späte Luther nach etwa 1530 - dem Jahr der Augsburger Religionsverhandlungen - wird so selten in Gottesdiensten etc. erwähnt, dass auf eine stillschweigende Trennung, ja sogar Ablehnung wegen Inkompetenz der seit damals entstandenene Schriften geschlossen werden könnte (leider nur Konjunktiv).

Eine klare Trennung würde einen großen Fortschritt für die Glaubwürdigkeit des lutherischen Konzeptes bedeuten. Denke ich als lutherisch Getaufter und seit 44 Jahren (2008) Reformierter Evangelischer Helvetischen Bekenntnisses. Andererseits ändert freilich der "späte Luther" an der Richtigkeit seines Reformationskonzeptes real nicht das Geringste.


Das hier schon Einiges in Schwebe ist kann man z.B. daraus erkennen:

Gedanken für den Tag 29. 10. 2008, im Programm Österreich 1
"Zum Reformationstag" von Luise Müller, Superintendentin
A.B. von Salzburg und Tirol

…semper reformanda

... Über den Glauben reden. Dem Glauben Worte geben. Das will Luther. Und so erklärt er, formuliert Gebete und Predigten, schreibt Briefe und hält Reden am Mittagstisch. Sein Verstand arbeitet auf Hochtouren und sein Herz fließt über. Er ist ein leidenschaftlicher Mensch. Er macht Politik und schreibt Lieder. Er ist ein radikaler Reformer und ein liebevoller später Vater. Er bleibt mir manchmal unbegreiflich und von manchem, was er sagt, so wie seine späten Äußerungen über die Juden, wünschte ich, er hätte es nie gedacht, geschweige denn zu Papier gebracht.

Schon allein wegen dieser Schattenseiten Luthers dürfen unsere Reformationsfeste nie zu Heldengedenktagen verkommen. Reformation ist eine bleibende Aufgabe, für jede Konfession."

Soweit SI Luise Müller!


Abschließend noch Calvin 1544 zu Luther, aus http://www.reformiert-info.de:

Inmitten des heftigen Streits in der Frage nach dem Abendmahl zwischen Zürich und Wittenberg, verschwieg Calvin nicht, wie fremd ihm der „maßlose, blitzeschleudernde Zorn“, die „heftige Art“, gar die „Anfälle von Wildheit“ bei Luther waren (vgl. Briefe I, 308), aber trotzdem mahnte er die Schweizer zur Nachsicht, so am 25. November 1544 in einem Brief an Bullinger in Zürich:

„… Aber das ist mein Wunsch, dass Ihr Euch darauf besinnt, welch großer Mann Luther doch ist, durch welche außerordentliche Geistesgaben er sich auszeichnet, wie tapfer und unerschütterlich, wie geschickt, wie gelehrt und wirksam er bisher immer gearbeitet hat an der Zerstörung der Herrschaft des Antichrists und an der Ausbreitung der Lehre zur Seligkeit. Ich hab’s schon oft gesagt: Wenn er mich den Teufel schölte, ich würde ihm doch die Ehre antun, ihn für einen ganz hervorragenden Knecht Gottes zu halten, der freilich auch an großen Fehlern leidet, wie er an herrlichen Tugenden reich ist. Hätte er sich doch bemüht, sein stürmisches Wesen besser im Zaum zu halten, mit dem er überall herausplatzt! Hätte er doch die Leidenschaftlichkeit, die ihm angeboren ist, stets gegen die Feinde der Wahrheit gekehrt, statt sie gegen Knechte des Herrn blitzen zu lassen! Hätte er sich doch mehr Mühe gegeben, seine Fehler einzusehen! Am meisten haben ihm die Schmeichler geschadet, da er schon von Natur zu sehr dazu neigt, sich selbst milde zu behandeln. Und doch ist’s unsere Pflicht, was fehlerhaft ist an ihm, so zu tadeln, dass wir seiner genialen Begabung etwas zugute halten. Denke also vor allem daran, das bitte ich Dich wie Deine Kollegen, dass Ihr es zu tun habt mit einem Erstling unter den Knechten Christi, dem wir alle viel schulden. …“

Dem kann ich als Nichttheologe nichts mehr hinzufügen.
- - - - - o o o - - - - -

Nachtrag: Im Rahmen meiner Recherchen als Nicht-Theologe bin ich auf ein interessantes, ja sogar befremdliches Phänomen gestoßen:
Auf die "Namenslutheraner" , besonders in evangelischen Diskussionsgruppen!
Menschen, die sich als Angehörige der Lutherischen Kirchen verstehen, aber von den oben angeführten Freiheitsprinzipien des Lutherischen Glaubens nur eine geringe oder keine Ahnung haben.
Sie verlangen von der Kirchenleitung wie Bischof, Superintendenten und Pfarrern politische Stellungnahmen oder/und sogar Verurteilungen missliebiger Politiker und wollen einfach nicht verstehen, dass die Rechtfertigungslehre verdammende Abqualifizierungen eines anderen Menschen a priori verhindert. Egal welcher Art die Vorwürfe sind.
Dass diesen Menschen auch das Wort "Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet!" völlig egal ist - wie eine Diskussion ergab - ist eigentlich auch nicht mehr verwunderlich. Matthäus 7, 1-5 

Der tiefere Sinn von Jesu Worten  " ...und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern..." bleibt offensichtlich auch Manchen verborgen. Die ganz Schlauen und vielleicht auch theologisch Geschulten verwenden allerdings die Vergebungsbitte "...Herr ich habe gesündigt und.... bitte um Vergebung...." OHNE "...wie auch wir vergeben...". Und ersparen sich damit auf einfache Art oftmalig die Entschuldigung bei dem/den Menschen, an dem/denen sie schuldig geworden waren.

Das Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht
 scheint im 21 Jhdt. leider auch oft zu passen.
Aber das gilt ja nicht nur für Lutheraner ....
Trotz des Wissens um dieses Gleichnis und auch seinen
quasi therapeutischen Sinn fällt es auch mir manchmal schwer, sofort nach subjektiv für "wichtig" gehaltenen Enttäuschungen nicht - zumindest eine Zeitlang - unverzeihend und nachtragend zu sein. Mea culpa ....

Rudolf Fiala

Anhang** aus http://theologe.de/glaube_rechtfertigungslehre.htm :

Die Kirche lehrt, dass keine Gotteserfahrung nötig sei. Und Martin Luther lehrt sogar, dass der Glaube das Gegenteil vom Begreifen sei. So schreibt er z. B.: „Da er [Gott] nun nicht begriffen werden kann, wird Raum gegeben zur Einübung des Glaubens … und zwar so, dass, indem Gott tötet, der Glaube an das Leben im Tod eingeübt wird“ (Vom geknechteten Willen, Weimarer Ausgabe der Lutherschriften, Band 18, S. 632 f.). Das Töten „Gottes“ geschieht für ihn z. B. durch ein totalitäres Obrigkeits-Regime, das von ihm laut Römerbrief 13, 4 als „Gottes Dienerin“ betrachtet wird. Oder es geschieht durch Prediger und Theologen, die den Politikern die Anweisungen geben. So sagt er z. B. von sich selbst: „Ich habe im Aufruhr alle Bauern [im Bauernkrieg] erschlagen … Aber ich schiebe es auf unseren Herrgott; der hat mir befohlen …“ (Tischreden, Weimarer Ausgabe der Lutherschriften, Band 3, S. 75) Luther hatte blutige Massaker an den Bauern gefordert, die dann auch durchgeführt wurden. 70.000 – 100.000 Bauern kamen im Jahr 1525 ums Leben; auch zahllose, die sich am Aufstand gar nicht beteiligt hatten.


Siehe auch den schon erwähnten Link
Luther aus http://www.geschichte-online.info

Erstaunlich ist, dass Bildnisse Luthers in "Lutherischen" Kirchen gefunden werden können.
Wie schon SI Müller sinngemäß mitteilte: es gibt keinen Grund für "Heldengedenken"

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