"... und vergib uns
unserer Schuld, wie
wir vergeben unseren Schuldigern ..."
Ist
ja nach Matthäus aus der Bergpredigt als Teil des "Herrengebetes",
umgangssprachlich "Vater Unser-Gebetes",
bestens bekannt.
Weniger bekannt - und in
Jahrzehnten in verschiedenen Kirchen am 14.2.2010 das erste Mal in der
Reformierten Stadtkirche in Wien gehört - sind die beiden in der
Bergpredigt folgenden Zeilen:
14
Denn so ihr den Menschen
ihre Fehler vergebet, so wird euch euer
himmlischer Vater auch vergeben,15
Wo ihr aber den Menschen
ihre Fehler nicht vergebet, so wird euch euer
Vater eure Fehler auch nicht vergeben.
Diese
Zeilen schließen direkt an die oben erwähnte, bekannte Gebetszeile an
und heben die Notwendigkeit
des eigenen
Vergebens quasi bestätigend nochmals hervor.
Bei
Markus, also im ältesten(!) Evangelium,
lautet der Text wie folgt, den ich für interessanter halte, weil vor
ihm kein
"Amen" steht, es sich also
um Jesu Worte handeln kann. Er somit sogar Teil der Bergpredigt
sein könnte, die bei Markus allerdings nicht in der späteren Form des
Matthäus
erwähnt wird.
Allerdings ist bei Markus die persönliche Vergebungsbereitschaft
überhaupt der alleinige
Kern von
Jesu Gebetsunterweisung:
24Darum
sage ich euch: Alles, was
ihr bittet in eurem Gebet, glaubet nur, daß ihr's empfangen werdet, so
wird's euch werden
25
Und wenn ihr stehet und
betet, so vergebet, wo ihr etwas wider jemand habt, auf daß auch euer
Vater im Himmel euch vergebe eure Fehler
26Wenn ihr aber nicht vergeben
werdet, so wird euch euer Vater, der im Himmel ist, eure Fehler nicht
vergeben.
Jesu
"Berichterstatter", als erster Markus und der dann ihn als
Quelle verwendende Matthäus,
betonten durch diese
weitere
Erwähnung ganz strikt die Sinnhaftigkeit der eigenen Vergebung, ja machten sie sogar zum
gottgewollten
Sine-qua-non. Zum "Chefauftrag", ohne dessen Befolgung
vieles unerledigbar bleibt und bleiben wird.
Und
noch etwas steckt -
leider verborgen - in diesen Zeilen, sofern man sie als ernstgemeint
auffasst:
Es
ist
definitiv sinnlos, Gott um Vergebung anzuflehen - wie es oft in
manchen absolutionsorientierten Liturgien geschieht -, statt die von
den eigenen Fehlern betroffenen
Menschen um Vergebung zu bitten und/oder statt diesen anderen Menschen
deren
Fehler nicht zu vergeben. Die Flucht in irgend welche nebulöse
Schuldgefühle und deren Deponierung bei Gott - samt Absolutionsbitte -
ist zwar bequem, der Nutzeffekt und die Nachhaltigkeit aber
bezweifelbar.
Wenn man
diesen Gedanken in die Tiefe entwickelt bleibt als Quintessenz, dass
man für jene "Sünden" und Missverständnisse, die man anderen Menschen
angetan hat, dann ja
Gott gar nicht mehr um Vergebung bitten muss!
Ein
klassisches eindeutiges Beispiel von "Ihr habt euch das gegenseitig
oder einseitig angetan, also
erledigt das gefälligst wieder in eigener Verantwortung!"
Dass man sich als
halbwegs intelligenter Mensch dann auch erlöster und besser fühlen
wird, als nach Vergebungsbitte an das Große Unbekannte, ist in der
sozialen Wesenheit des Menschen begründet. Somit hier noch einmal der
leicht veränderte Abhandlungstitel:
»Heilmittel "Vergebung",
schon von Jesus, aber auch von modernen Psychotherapeuten dringendst
empfohlen!«
Nachtrag 2.5.2010: Kol 3,13
Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem andern
etwas vorzuwerfen hat.
Wie
der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!- - -
- - - - - - - - - - -
Interludium Hinduismus:
Die
bewusste Vergebung als Teil eines aktiven Lebensweges scheint
mir aus den "Drei Wegen" ableitbar:
aus dem Weg der Erkenntnis
"jnanamarga"
aus dem Weg
der Hingabe "bhaktimarga" und
aus dem Weg des Tuns
"karmamarga"
- - - - - - - - - - - - - - -
Im
am 4.3.2010 gefundenen Vaterunser-Artikel der Freien Christen
ist ab der Zeile "Und
vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern
..." viel
Übereinstimmerndes zu dieser Abhandlung zu finden.
Ich
habe die nie erfolgende
Erwähnung dieser Matthäus-Zeilen seit Beginn dieser Abhandlungen 2008
einige
Male schon als Mangel angeprangert - beispielsweise in meiner Vaterunser-Abhandlung -,
auch weil ich an deren
psychotherapeutische Macht glaube. Was manchem Menschen helfen
würde; Angewandte Psychotherapie schlechthin. Dass
das nur mit der eigenen vollsten Überzeugung funktionieren kann,
erschwert leider den Vorgang.
Dazu
bedarf es auch des bewussten Willens, vergebend -
schenkend und/oder akzeptierend - tätig zu werden.
Und
den Prozess nicht herabzuwürdigen, oder in einen Vergebungswettbewerb
mit den sinngemäßen Worten einzutreten: "Waaaas, der/die will
mir
vergeben, so eine Frechheit!" Die gut gemeinte Vergebungstat als
paranoiabasierte Beleidigungsempfindung,
auch das ist leider zu befürchten.
Das
kann man
sicher akademisch geschliffener ausdrücken, aber Sie wissen vermutlich,
wie ich es meine.
Bedenkeswert wäre noch, dass Nicht-Vergeben keine
Nebenbeihandlung ist, sondern in vielen Fällen eine hoch aggressive Aktivität
gegen einen anderen Menschen - und/oder gegen sich selbst -
mit
entsprechenden psychischen und physischen Folgen darstellt.
Es war daher für mich eine sehr
große Freude eine Predigt von Pfarrer Johannes Langhoff in der
Reformierten Stadtkirche in Wien am 14.2.2010 zu hören, ja sie
gleichsam zu genießen.
Sie erreichen diese mit
folgendem Link und möge sie auch Ihnen wertvoll erscheinen:
Vergebungspredigt
Rudolf
Fiala